Friedensbewegung

Kundgebungen, Sitzblockaden, Schweigeminuten: Länger als ein Jahrzehnt war Engstingen in den 1980er-Jahren das Ziel friedensbewegter Demonstranten. Erst mit der Schließung des Atomwaffenlagers 1992 gingen die Proteste zu Ende.

In Baden-Württemberg konzentrierte sich in den 1980er-Jahren die Auseinandersetzung gegen die Nachrüstung. Ausgelöst durch den sogenannten Nato-Doppelbeschluss, der 1979 die Weichen zur Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen und Lance-Raketen in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und gestellt hatte.

Die Austragungsorte der Konflikte zwischen US-Militär, Behörden und Friedensbewegungen sind in erster Linie die Zufahrtsstraßen zu den Militäreinrichtungen in Heilbronn, Mutlangen sowie in Neu-Ulm. Und auch in Großengstingen. Nach einem Bericht der Illustrierten „Stern“ vom 19. Februar 1981 befindet sich rund einen Kilometer von der Eberhard-Finckh-Kaserne entfernt das Sondermunitionslager Golf, in dem die US-Armee Atomsprengköpfe für Lance-Raketen lagert.

Diese brisante Veröffentlichung ruft den Verein „Friedenspädagogik Tübingen“ auf den Plan, der mit anderen Gruppen im April 1981 den ersten Ostermarsch nach Engstingen organisiert. Auf Transparenten der mehr als 500 Teilnehmer ist zu lesen, dass die Sprengköpfe des Kurzstreckenraketensystems Lance „die zwölffache Wirkung der Hiroshima-Bomben haben“.

Es bleibt nicht nur bei den Plakaten, die die vielen Atomwaffen-Gegner in die Luft halten. 13 Demonstranten ketten sich wenig später vor dem Haupttor der Eberhard-Finckh-Kaserne zusammen. 24 Stunden blockieren sie die Zufahrt, bevor Polizeibeamte die Männer und Frauen los schneiden und abführen.

Die Pazifisten erklären die Gemeinde auf der Alb zu einem Symbol der Nachrüstung. Petra Kelly, Gründungsmitglied der Grünen, und ihr Partner Gerd Bastian protestieren ebenfalls auf der Haid. Grünen-Politiker Cem Özdemir, Tobias Pflüger sowie Rhetorik-Professor Walter Jens schließen sich an.

An Ostern 1989 findet die größte Demonstration auf der Schwäbischen Alb statt. Großengstingen ist am 27. März der zentrale Veranstaltungsort der traditionellen Ostermärsche in Baden-Württemberg. Nach den Schätzungen der Polizei versammeln sich auf Rathausplatz mehr als 6.000 Menschen.

Die letzte Mahnwache dort findet am 9. November 1992 statt. Liedermacher Thomas Felder und seine Freunde machen sich, wie so oft in den vergangenen Jahren, Richtung Lager auf. Tanzend und singend nähern sie sich vorsichtig dem Zaun. Sie wissen noch nicht, dass die Atomsprengköpfe – dank der weltweiten Abrüstung – bereits verschrottet sind und die Amerikaner im Frühjahr das Lager still und leise verlassen haben.

Sie können ihr Glück kaum fassen. „Damit ist unsere Mission auf der Alb nach fast zwölf Jahren beendet“, stellt der Liedermacher mit Tränen in den Augen erleichtert fest und stimmt vergnügt ein Lied auf seiner Drehleier an. Wenig später beschriften einige seiner Freunde vor dem Lager einen Stein mit den Worten: „Gedenkstätte, Schauplatz des Kalten Krieges“.