Munitionsanstalt Haid
Das Gelände, auf dem sich heute der Gewerbepark befindet, hat eine wechselvolle Geschichte. Von 1958 bis 1993 stand dort die Eberhard-Finckh-Kaserne. Zuvor waren dort das Kreisflüchtlingslager, eine Lungenheilanstalt und die Munitionsanstalt Haid untergebracht.
Als 1938 hochrangige Offiziere bei Großengstingens Schultes Oskar Gauch vorstellig wurden, kamen sie ohne Umschweife gleich zur Sache: „Wir haben den Gemeindewald besichtigt und teilen ihnen mit, dass wir die Fläche für Zwecke der Luftwaffe benötigen.“ Dem kleinen Dorf auf der Alb blieb nichts anderes übrig, als den vorgelegten Vertrag zu unterschreiben, da sonst das Gelände enteignet worden wäre.
Bereits wenig später wurde mit der Rodung des 140 Hektar großen Geländes begonnen, um dort eine der größten Munitionsanstalten (Muna) des Dritten Reichs zu bauen. Das Projekt war streng geheim. Kein Wunder, dass sich die Militärs das Areal in Großengstingen ausgesucht hatten. Es lag abseits der Durchgangsstraßen und wegen der vielen Bäumen schwer einsehbar.
Im Jahr 1939 waren die meisten der 76 Bunker, der zwölf Arbeits- und Lagerhäuser sowie die 55 Freilagerplätze, Kantine, Feuerlöschteich und Kasino fertig. 64 Bunker dienten als 30-Tonner- Munitionsbunker, die restlichen als Zündbunker. Die Verwaltungsgebäude, die heute noch dort stehen, erinnerten an einen großen Gutshof. Die Barackenunterkünfte für die Arbeiter standen in der Nähe der Kapelle. Auf der Haid wurden alle Munitionsarten der Luftwaffen gelagert. Vom Infanterie- Geschoss bis hin zur 10-Zentner-Luftmine. Das Personal bestand aus drei Offizieren sowie 400 Arbeitern und weiteren Soldaten.
Mit der Ausweitung des Krieges Anfang der 1940er-Jahre wechselte nach und nach das Personal in der Muna. Die Männer des Reichsarbeitsdienstes und die meisten Soldaten mussten an die Front. Als Ersatz kamen 60 Italiener auf die Alb, die dort das „Arbeitslager“ erwartete. Die Zwangsarbeiter waren keine Gefangenen, sie konnten sich frei bewegen.
Da die Soldaten auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen laufend Nachschub brauchten, nahm die Arbeit auf der Haid stetig zu. Zeitweise schufteten die Männer rund um die Uhr. Deshalb setzten die Militärs zudem polnische, russische und französische Kriegsgefangene ein. Sie arbeiteten nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Küche, im Wald und im Steinbruch.
Bis kurz vor Kriegsende bliebt die Muna Haid von den Amerikanern unentdeckt. Erst im Februar 1945 gab es den ersten Luftangriff, der jedoch keinen großen Schaden anrichtete. Erst zu diesem Zeitpunkt bemerkten die GIs, dass sich auf Großengstinger Markung eine bedeutende Munitionsanstalt der Nazis befand. Einen Monat später gab es weitere erfolglose Luftangriffe. Erst bei den Bombardements am 8. und 9. April 1945 mit mehr als 300 Flugzeugen wurde die Muna schwer beschädigt.
Damit den näher rückenden Alliierten nichts in die Hände fiel, beschlossen deutsche Offiziere, am 23. April 1945, die Muna, besser gesagt, das, was von ihr übrig geblieben war, in die Luft zu sprengen. Weil alles viel zu schnell über die Bühne ging, detonierten viele Sprengkörper nicht. Munitionsteile bleiben im Boden stecken und wurden von herumfliegenden Beton- und Holzteilen zugeschüttet.
Einen Tag später, am 24. April 1945 um sechs Uhr morgens, endete für die Großengstinger der Zweite Weltkrieg. GIs marschieren in das kleine Dorf ein, besetzten es und übergaben es einen Monat später an die Franzosen. Bereits Ende 1948 überschrieb das französische Oberkommando das Muna- Gelände dem Finanzministerium von Württemberg-Hohenzollern. Die Besatzungsmacht wollte nichts mehr mit der Beseitigung der Munition zu tun haben, war hinter vorgehaltener Hand zu hören.
Daraufhin wurde unter der Regie des Kampfmittelbeseitigungsdienstes begonnen, weitere Munition zu bergen und zu vernichten. Ende der 1940er-Jahre fingen ortsansässige Firmen damit an, die ehemaligen Hauptgebäude der Muna gründlich zu sanieren, um daraus eine Lungenheilanstalt zu machen.
Anfang 1950 trafen 180 Patienten ein. Sie wollten mit einer Liegekur in einer der beiden offenen Hallen wieder zu Kräften kommen. „Diese Menschen leiden an keiner ansteckenden Tuberkulose, sondern haben einen Schatten auf der Lunge“, erzählten die Krankenschwestern.
Nach mehr als drei Jahren, am 30. Juni 1953, wurde das Sanatorium bereits wieder geschlossen und die Patienten in andere Heilanstalten verlegt. Das Umsiedlungsamt benötigte die Gebäude als Kreisdurchgangslager.
Bereits in den ersten sieben Tagen quartierten sich fast 400 Flüchtlinge, Heimatvertriebene und Umsiedler aus den Ostgebieten ein. Das Land plante im Staatlichen Flüchtlingslager Haid, das der Caritasverband Reutlingen betreute, 600 Menschen unterzubringen. Zeitweise lebten dort fast 800 Frauen, Männer und Kinder.
1956 begannen parallel die Bauarbeiten für die neue Kaserne. Ein Jahr später stellte der Kampfmittelbeseitigungsdienst seine Arbeit ein. Landessprengmeister Karl Bullinger informierte, dass bis jetzt eine Fläche von 172,5 Hektar geräumt, 274 Kubikmeter Erde und Beton bewegt und dabei 498.000 Sprengkörper und Zünder sowie rund 231.000 Infanteriepatronen geborgen worden seien.
Als im Februar 1958 die ersten Soldaten in der Bundeswehr-Kaserne einzogen, existierte das Kreisdurchgangslager noch, das zu dieser Zeit aus militärischen Sicherheitsgründen von einem hohen Zaun umgeben war. Erst Ende 1959 verließen die letzte Flüchtlinge die Haid, da die Bundeswehr die Gebäude dringend benötigte.